Lisa und die geheimnisvollen Rauhnächte
Draußen lag eine dicke Schneedecke auf den Feldern und Wäldern. Der Mond war rund und hell, und die Sterne funkelten wie kleine Kristalle am Himmel. Lisa und ihr kleiner Bruder Ben saßen mit Oma am Kamin und hörten aufmerksam zu. Es war die Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – die Rauhnächte, wie Oma es nannte.
„Was sind denn die Rauhnächte?“, fragte Ben neugierig und kuschelte sich in seine warme Decke.
Oma lächelte geheimnisvoll. „Das sind ganz besondere Nächte, in denen die Welt ein kleines bisschen anders ist als sonst. Die Luft ist voller Magie, die Tiere können vielleicht sprechen, und manchmal sieht man Lichter tanzen, wo sonst keine sind.“
Lisa riss erstaunt die Augen auf. „Echt? Ist das wahr?“
„Man sagt, dass in diesen Nächten die Grenze zwischen unserer Welt und der anderen Welt ganz dünn ist. Manchmal kann man Dinge hören oder sehen, die sonst verborgen bleiben.“
Ben schauderte ein wenig und rückte näher an Lisa. „Aber das ist doch nicht gefährlich, oder?“
Oma lachte. „Nein, wenn man sich an die alten Regeln hält: Kein Streit in den Rauhnächten! Kein Hausputz! Keine Wäsche aufhängen! Und man muss gut zuhören, denn die Träume in diesen Nächten sollen uns zeigen, was im neuen Jahr passiert.“
Lisa und Ben waren beeindruckt. In dieser Nacht lagen sie lange wach und starrten auf das Fenster. Draußen wirbelte der Schnee, und der Wind rauschte leise durch die Äste der Bäume. Plötzlich entdeckte Lisa ein flackerndes Licht am Waldrand!
„Ben, sieh mal!“, flüsterte sie aufgeregt.
Ben drehte sich um und blinzelte verschlafen. „Vielleicht ist es nur der Mond?“
Doch das Licht bewegte sich, hüpfte und tanzte. Lisa hielt den Atem an. „Lass uns nachsehen!“
Ben war unsicher, aber Lisa zog ihn mit. Warm eingepackt schlichen sie aus dem Haus. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln. Das Licht schwebte weiter in den Wald hinein. Lisa und Ben folgten ihm vorsichtig.

Plötzlich blieb es stehen. Und genau in diesem Moment hörten sie ein Flüstern!
„Wer ist da?“, rief Lisa mutig.
Da trat ein kleines Wesen aus dem Schatten. Es war ein alter Mann mit einem langen, weißen Bart und einer Jacke aus Moos. Seine Augen funkelten freundlich.
„Willkommen in den Rauhnächten!“, sagte er mit einer tiefen, sanften Stimme.
Ben schnappte nach Luft. „Bist du ein Geist?“
Der Alte lachte. „Nein, ich bin ein Hüter der Zeit. In den Rauhnächten wandere ich durch die Welt und beobachte, wer mutig genug ist, das Geheimnis zu entdecken.“

Lisa und Ben sahen sich an. Sie waren sich sicher: Sie wollten mehr erfahren!
„Passt gut auf!“, sagte der Alte und zeigte auf den Himmel. „In diesen Nächten träumen die Bäume, flüstern die Winde und tanzen die Sterne. Ihr müsst nur genau hinsehen.“
Lisa und Ben lauschten gebannt. Der Alte erzählte von alten Geschichten, Wünschen und Geheimnissen, die nur in diesen zwölf Nächten offenbart werden.
„Aber jetzt solltet ihr zurück nach Hause, bevor die erste Glocke Mitternacht schlägt.“
Lisa und Ben nickten eilig und liefen zurück zum Haus. Als sie sich noch einmal umdrehten, war der alte Mann verschwunden – nur das kleine Licht tanzte noch einmal kurz auf dem Schnee, bevor es verblasste.
Am nächsten Morgen erzählten sie Oma alles. Sie nickte geheimnisvoll und sagte: „Vielleicht habt ihr die Magie der Rauhnächte wirklich gesehen.“
Von da an achteten Lisa und Ben in jeder Rauhnacht auf das Flüstern des Windes und das Flackern der Sterne – und wer weiß? Vielleicht entdecken sie eines Tages wieder das Licht des Hüters der Zeit.