Krampus und das verlorene Geschenk
Es war eine eisige Winternacht, als der kleine Paul mit großen Augen aus dem Fenster sah. Schneeflocken tanzten wie glitzernde Sterne vom Himmel. Bald würde der Nikolaus kommen! Paul konnte es kaum erwarten, denn er hatte das ganze Jahr über brav seine Hausaufgaben gemacht, seiner Oma beim Einkaufen geholfen und immer mit seinen kleinen Geschwistern geteilt.

Doch Paul wusste auch, dass es den Krampus gab – den furchteinflößenden Begleiter des Nikolaus. Mit seinen großen, gebogenen Hörnern, seinen funkelnden roten Augen und seinem langen, zotteligen Fell machte er den Kindern, die nicht brav gewesen waren, Angst. Aber Paul war sicher: Dieses Jahr musste er sich nicht fürchten!
In dieser Nacht legte sich Paul früh schlafen. Doch mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf. Draußen war ein seltsames Geräusch zu hören. War das der Nikolaus? Leise schlich Paul zur Tür und lugte durch den Türspalt.
Im schwachen Lichtschein sah er eine riesige Gestalt mit schwarzen Hufen und einem langen, wedelnden Schwanz. Es war der Krampus! Doch … Moment mal! Er sah gar nicht so gruselig aus, wie Paul gedacht hatte. Er wirkte … verzweifelt?
Paul schluckte. Sollte er sich verstecken? Doch dann bemerkte er etwas: Die riesige Gestalt hielt ein Päckchen in der Hand, das aussah wie ein Geschenk – ein wunderschön verpacktes Geschenk mit einer glänzenden roten Schleife!
„Oh nein!“, murmelte das zottelige Wesen mit rauer Stimme. „Ich habe es verloren … der Nikolaus wird so wütend sein!“
Paul traute seinen Ohren kaum. Der Krampus hatte etwas verloren? Vorsichtig trat er ein Stück aus der Tür.
„Hallo?“, flüsterte er.
Die dunkle Gestalt zuckte erschrocken zusammen und drehte sich um. Große Augen funkelten, aber dieses Mal nicht böse – eher traurig.
„Wer bist du?“, fragte der Krampus.
„Ich bin Paul“, sagte der Junge mutig. „Hast du … ein Problem?“
Ein tiefer Seufzer erklang. „Ja. Ich sollte dem Nikolaus helfen, die Geschenke zu verteilen, aber ich bin gestolpert und eines ist mir heruntergefallen. Jetzt weiß ich nicht, wem es gehört … und der Nikolaus wartet sicher schon auf mich!“
Paul überlegte kurz. Dann bekam er eine Idee.
„Darf ich es mir anschauen? Vielleicht weiß ich, wem es gehört!“
Vorsichtig reichte die große, haarige Hand ihm das Geschenk. Paul drehte es behutsam um – und da! Auf der Unterseite stand in goldener Schrift: „Für Paul“.

Er blinzelte überrascht. „Das Geschenk ist für mich!“
Sein Gegenüber sah ihn erschrocken an. „Wirklich? Oh, dann habe ich es ja doch noch rechtzeitig gefunden!“
Paul lachte erleichtert. „Du hast es nicht verloren, sondern gerettet!“
Verlegen kratzte sich die gehörnte Gestalt am Kopf. „Dann ist ja alles gut … aber sag mal, hast du wirklich keine Angst vor mir?“
Paul schüttelte den Kopf. „Am Anfang ein bisschen. Aber jetzt sehe ich, dass du gar nicht so schrecklich bist. Du bist einfach … ein bisschen tollpatschig!“
Ein lautes Lachen ertönte, das plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich klang. „Vielleicht hast du recht. Ich bin eben nicht so geschickt wie der Nikolaus.“
In diesem Moment hörten sie in der Ferne ein leises Schellenklingeln. Der Nikolaus war im Anmarsch!
„Ich muss los!“, rief der Krampus. „Schlaf gut, Paul – und sei auch nächstes Jahr wieder brav!“
Mit einem großen Sprung verschwand er in der Dunkelheit. Paul lächelte und schlich mit seinem Geschenk ins Bett.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, fragte er sich, ob das alles nur ein Traum gewesen war. Doch auf seinem Nachttisch lag das Geschenk – mit der glänzenden roten Schleife.
Und seit diesem Tag wusste Paul: Der Krampus war vielleicht ein bisschen gruselig, aber er hatte auch ein großes Herz.